Steckbrief: Selen

Informationen zum Element:

Bezeichnung

78,96
  Se
34

Symbol: Se

Internationale Bezeichung (IUPAC): Selenium

Ursprung: Es kommt in mehreren Modifikationen vor, die stabilste ist die graue metallähnliche Form.
Selen – benannt nach der griechischen Mondgöttin Selene – wurde 1817 von Jöns Jakob Berzelius im Bleikammerschlamm einer Schwefelsäurefabrik entdeckt, der neben Selen auch Tellur (von lat. tellus Erde) enthielt.

Bedeutung: Selene = griechische Mondgöttin

Daten Periodensystem

Selen

Periode: 4

Gruppe: 16 (IV A)

Gruppenname: Chalkogene

Oxidationszahl: 4 (6, -2)

Atommasse [u]: 78,96

Elektronegativität

Elektronegativität (nach Allred): 2,5

Elektronegativität (nach Pauling): 2,55

Physikalische Daten

Selen

Aggregatzustand (20°C): fest

Dichte [g/cm2]: 4,809

Radioativ: n

Schmelztemperatur [°C]: 221

Siedetemperatur [°C]: 685

Kristallstruktur: hexagonal

Verwendung im Alltag

Selen kommt wie Schwefel in mehreren Modifikationen vor:

  • Rotes Selen: löslich in Kohlenstoffdisulfid, besteht zu etwa 30 % aus Se8-Ringen und zu 70 % aus Se8+n, welches sich oberhalb 80 °C in das graue Halbleitermetall umwandelt. Elementares rotes Selen ist ein Isolator.
  • Schwarzes amorphes Selen: es wandelt sich oberhalb 60 °C in das schwarze, glasartige Selen um. Beide Formen wandeln sich beim Erwärmen oberhalb von 80 °C in die graue, halbmetallische Modifikation um.
  • Graues metallisches Selen: es ist die stabilste Modifikation und verhält sich wie ein Halbmetall.
  • Flüssiges Selen: Oberhalb des Schmelzpunktes von 220 °C bildet es eine schwarze Flüssigkeit. Der bei weiterer Temperaturerhöhung entstehende Selendampf ist gelb.
  • Selenkristalle: Bei Abscheidung aus der Dampfphase an einer kühleren Oberfläche (um einiges unter dem Schmelzpunkt) scheidet es sich in Form hexagonaler, metallisch-grauer Kristallnadeln ab.
    Die Bandlücke des Selens beträgt etwa 1,74 eV (an der Grenze vom sichtbaren Licht zum Infrarot).
  • Leitfähigkeit: Durch Belichtung ändert es seine elektrische Leitfähigkeit. Zusätzlich zeigt es einen photovoltaischen Effekt. Die Leitfähigkeit wird nicht durch Elektronen in einem Leitungsband verursacht, sondern durch Leitung von Löchern, also positiv geladenen Elektronenfehlstellen, wodurch unter anderem das Vorzeichen des Hall-Effekts negativ wird. Als Mechanismus für diese Löcherleitung wird eine so genannte Hopping-Leitfähigkeit (der Löcher von einer Kristallfehlstelle zur nächsten) vorgeschlagen.
  • Verbindungen: Beim Erhitzen in Luft verbrennt Selen mit blauer Flamme zum Selendioxid, SeO2. Oberhalb von 400 °C setzt es sich mit Wasserstoff zum Selenwasserstoff, H2Se, um. Mit Metallen bildet es in der Regel Selenide, zum Beispiel Natriumselenid, Na2Se.
  • Chemisches Verhalten: Das chemische Verhalten ist dem Schwefel ähnlich, allerdings ist Selen schwerer oxidierbar. Die Reaktion mit Salpetersäure bildet nur selenige Säure, eine Selen(IV)-Verbindung.
  • Verwendung: Selen ist für alle Lebensformen essentiell. Selenverbindungen werden daher als Nahrungsergänzung angeboten und zu Futter- und Düngemittelzusätzen verarbeitet. In der Glasindustrie verwendet man es zum Entfärben grüner Gläser sowie zur Herstellung rotgefärbter Gläser.
    Weitere Anwendungen:
    • Belichtungstrommeln für Fotokopierer und Laser-Drucker
    • Bestandteil von Nervenkampfgasen
    • Halbleiterherstellung
    • Latexzusatz zur Erhöhung der Abrasionsbeständigkeit
    • Toner für Schwarz-Weiß-Fotografien zur Kontrasterhöhung (helle Töne bleiben unverändert, man kann dunklere Schwärzen erreichen, die dunklen Teile wirken insgesamt plastischer), Haltbarkeitserhöhung (nicht eindeutig nachgewiesen) und zur leichten Färbung der dunklen Bildbestandteile ins aubergine-farbene (ebenfalls zur Plastizitätserhöhung)
    • zur Herstellung roter Farbpigmente auf der Basis von Cadmiumselenid (wegen des Cadmiumgehaltes heute eher selten)
    • Legierungszusatz zur Verbesserung der mechanischen Bearbeitbarkeit für Automatenstähle und Kupfer-Legierungen
    • Verwendung in dem Selen-Gleichrichter und der Selen-Zelle, heute allerdings weitgehend durch Silicium (Halbleiter) abgelöst.
    • zur Brünierung von Aluminium, Messing o. ä. (Selendioxid)
    • mit Kupfer und Indium Bestandteil der photoaktiven Schicht von CIS-Solarzellen
    • in analogen Belichtungsmessern für die Fotografie
    • Anti-Schuppen-Haarshampoos und Vorbeugung / Therapie von Pityriasis versicolor, einer durch einen Hefepilz verursachten Hauterkrankung
    • unterstützend in der HIV-Therapie (günstiger Effekt bezüglich der HIV-Viruslast umstritten)
    • Umsetzung mit Grignard-Verbindungen, R-Mg-Hal, führt zu Organoselenverbindungen, R-Se-Mg-Hal, aus denen sich durch Hydrolyse Selenole, R-Se-H herstellen lassen
  • Biologische Bedeutung: Selen ist ein essentielles Spurenelement. In der Milchviehfütterung wird Selen zugesetzt, denn der natürliche Selengehalt unserer Futtermittel reicht zur Versorgung der Nutztiere oft nicht aus. Das deutsche Futtermittelrecht erwähnt zur Ergänzung der Selenversorgung nur die beiden anorganischen Selenquellen Natriumselenit und -selenat als Futterzusatzstoffe. Diese beiden Verbindungen sind ökonomisch sehr günstig, stehen aber aufgrund der geringen Bioverfügbarkeit für den Organismus aktuell im Kreuzfeuer der Kritik.
    Selen wirkt in höheren Konzentrationen jedoch stark toxisch, wobei die Spanne zwischen Konzentrationen, die Mangelerscheinungen hervorrufen und toxischen Konzentrationen sehr gering ist. Des Weiteren ist die Toxizität von Selen abhängig von der chemischen Bindungsform.
    Es ist in Selenocystein, die Aminosäure im aktiven Zentrum des Enzyms Glutathionperoxidase, wodurch Selen eine wichtige Rolle beim Schutz der Zellmembranen vor oxidativer Zerstörung spielen kann (Radikalfänger). Knoblauch ist eine wichtige Selenquelle. Selen ist ebenfalls Bestandteil anderer Enzyme, deren Bedeutung zum Teil noch nicht geklärt ist.
  • Diskussion um Selen: Bevor eine Arbeitsgruppe um Klaus Schwarz am National Institute of Health (USA) Selen als essentiellen Nahrungsbestandteil der Tiere entdeckte, galt Selen als toxische Substanz. In den 1930er-Jahren machten Veterinäre in den Great Plains die hohe Aufnahme selenhaltiger Pflanzen für die Alkali-Krankheit und die Blind-Ataxie der Rinder verantwortlich, andererseits berichtete eine Forschergruppe um Schwarz in den 1950er-Jahren, dass Selen einer nekrotischen Leberdegeneration vorbeugt. Etwa gleichzeitig stellte eine Gruppe von Forschern der Oregon State University, der auch O. H. Muth und J. E. Oldfield angehörten, ein Selendefizit bei schwachen Kälbern fest. Später wies Hogue nach, dass Selen der Muskeldystrophie der Lämmer vorbeugt. Diesen Berichten folgend haben Forscher verschiedener Einrichtungen Studien zum Nutzen der Selensupplementierung auf Leistung und Gesundheit des Milchviehs begonnen. Es wurde beschrieben, dass die vorrangige Rolle des Selens die eines Cofaktors im Glutathionperoxidase-System (GSH-Px) ist. Das GSH-Px zerstört die während des normalen Fettstoffwechsels gebildeten Peroxide (radikale Sauerstoffverbindungen). Wenn Peroxide ungehindert in der Zelle verbleiben, greifen sie die Zellwände an und destabilisieren sie. Hemken erklärte, dass Selen auch an der Entgiftung gefährlicher Medikamente oder Toxine beteiligt ist. Selen spielt noch in mindestens zwei weiteren Systemen eine Rolle: bei der Iodthyronin-Deiodase, einem Enzym, welches das Schilddrüsenhormon T4 aktiviert, und bei der Thioredoxin-Reduktase, einem Enzym, welches die reduzierenden Reaktionen reguliert. Bestimmte Plasma-, Herz-, Muskel- und Nierenproteine enthalten Selen. Jedoch ist die Funktion des Selens in diesen Proteinen noch in weiten Bereichen unklar.
    Es gibt viele verschiedene Selenoproteine. In den Selenoproteinen ist Selenocystein enthalten, das auch als 21. Aminosäure bekannt ist. Selenoproteine kommen in dieser Funktion nur in tierischen Organismen vor. Pflanzen bauen Selen je nach Bodengehalt anstelle des Schwefels in ihre Aminosäuren ein, besonders in Methionin (Se-Methionin) und in geringem Umfang auch Cystein (Se-Cystein). Nur die sogenannten Selensammlerpflanzen (Selenakkumulator-Pflanzen, z. B. Paradiesnuss), die in Selen-reichen, ariden Gebieten vorkommen, speichern Selen auch als organisch gebundenes, wasserlösliches Selen oder Selensalze.
    Bis dato wurden mindestens 25 Selenoproteine im menschlichen Genom entdeckt:
    • Glutathionperoxidase 1 (GSHPx-1), die zelluläre oder klassische Glutathionperoxidase (im Zytosol, Mitochondrienmatrix)
    • Glutathionperoxidase 2 (GSHPx-2), die gastrointestinale Glutathionperoxidase (in der Darmschleimhaut)
    • Glutathionperoxidase 3 (GSHPx-3), die extrazelluläre oder Plasmaglutathionperoxidase (im Plasma)
    • Glutathionperoxidase 4 (GSHPx-4), die Phospholipidhydroperoxidglutathionperoxidase (an Lipidmembranen, Strukturprotein im Schwanzstück von Spermien); -> antioxidative Enzyme, die Peroxidradikale neutralisieren
    • Thioredoxinreduktase (TrxR) -> reduziert das Thioredoxin, das wichtig für das Zellwachstum ist, aber auch zahlreiche weitere niedermolekulare und hochmolekulare Substrate
    • Iodthyronin-5'-deiodinasen (Schilddrüsenhormondeiodinasen) (ID-I, ID-II, ID-III) -> katalysieren Schilddrüsenhormone, zum Beispiel Entfernung eines Iod-Atoms aus T4 (Thyroxin), wodurch T3 (Triiodthyronin) entsteht
    • Selenoprotein P (Se-P) -> sehr wichtig als Transportprotein von Selen von und zu den Zellen; enthält 10 Selenatome
    • Selenoprotein W -> in der Muskulatur; Rolle noch unbekannt
    • Selenphosphatsynthetase -> katalysiert die Synthese von Monoselenophosphat, einem Vorläufer von Selenocystein
    • Selenoprotein H, M, N, O, I, K, S, V -> Funktion dieser Selenoproteine ist noch weitgehend unverstanden. Mutationen des SEPN1-Gens wurden bei der Multicore-Myopathie beschrieben.
    • Selenoprotein R = Methionine Sulfoxid Reduktase
    • Selenophosphatase Synthetase 2 -> katalysiert die Produktion von Selenophosphat
  • Selenmangelkrankheiten: Selenmangelkrankheiten kommen nur in Ländern mit extremer Selenunterversorgung wie Nordkorea und Nordostchina sowie einzelnen anderen Ländern vor. In unseren Breiten können in der Regel nur Frühgeborene, parenteral ernährte Patienten und Alkoholkranke einen Selenmangel entwickeln.
    Bekannte Selenmangelkrankheiten sind:
    • Keshan-Krankheit (juvenile Kardiomyopathie), benannt nach der nordostchinesischen Stadt Keshan im Distrikt Heilongjiang in der Mandschurei
      Selenmangel begünstigt eine Mutation des harmlosen Coxsackievirus B3 (CVB3/0), das dadurch virulent wird
      Vorkommen: Tibet, Mongolei, Sibirien
    • Kaschin-Beck-Krankheit des Menschen (nutritive Gelenkknorpeldegeneration), benannt nach dem russischen Arzt Nikolai Iwanowitsch Kaschin und der Amerikanerin Melinda A. Beck
      Vorkommen: Sibirien, Mongolei, Nordkorea, China; betroffen sind ca. 3 Millionen Menschen
    • Epidemische Neuropathie des Menschen, Selenmangel verursacht eine Mutation des Influenza-A/Bangkok/1/79-Virus, das dadurch virulent wird
      Vorkommen: Kuba
    • Weißmuskelkrankheit (nutritive Myodegeneration (NMD), nutritive Muskeldystrophie, enzootische Myodystrophie, nutritive Rhabdomyolyse, nutritive Rhabdomyopathie, myopathisch-dyspnoisches Syndrom, Kälberrheumatismus, Hühnerfleischigkeit, Fischfleischigkeit)
      Vorkommen: in allen Selenmangelgebieten der Erde
      Tierarten: Jungtiere von v. a. Wiederkäuern: Kälber, Lämmer, Zicklein, Dromedar- und Lamafohlen
    • Überlastungsmyopathie des ruminierenden Rindes (paralytische Myoglobinurie, exerzitionale Rhabdomyolyse)
      Vorkommen: in allen Selenmangelgebieten der Erde
      Tierarten: v. a. Rinder ab acht Monaten
  • Organisch gebundenes Selen als Nahrungsergänzungsmittel: In einer kritischen Bewertung der Pharmainformation vom Juni 2005 wird festgestellt, dass die bislang verfügbaren Studien keine Hinweise für einen Nutzen einer zusätzlichen Gabe von Selen in irgendeinem Zusammenhang erbringen konnten. Zwar scheint eine positive Beeinflussung verschiedener Krebsarten möglich, andererseits die Begünstigung anderer Karzinome nicht unwahrscheinlich. Die SELECT-Studie (Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial) soll diesbezüglich Auskunft geben und 2013 abgeschlossen werden.
    Im Rahmen der neuerlichen Auswertung von Daten einer Studie kam Saverio Stranges von der Universität in Buffalo zu dem Ergebnis, dass von den 600 Patienten, die Selen einnahmen (tägl. 200 µg) nach fast acht Jahren etwa zehn Prozent an Typ 2 Diabetes erkrankt waren. Bei der Placebo-Kontrollgruppe waren es lediglich sechs Prozent. Bis dato wurde noch keine potentielle Ursache für das erhöhte Diabetes-Risiko gefunden. Hohe Selenkonzentrationen im Blut korrelieren mit dem Risiko, an Diabetes zu erkranken.
  • Natriumselenit und Schilddrüsenhormone: Selen spielt eine wichtige Rolle bei der Produktion der Schilddrüsenhormone, genauer bei der Aktivierung von Thyroxin (T4) zu Triiodthyronin (T3).
    Selen ist Bestandteil eines Enzyms, der Thyroxin-5'-Deiodase, die für die Entfernung eines Iodatoms aus T4 verantwortlich ist. Durch diese Deiodierung entsteht T3. Ein Selenmangel führt zu einem Mangel an Thyroxin-5'-Deiodase, wodurch nur noch ein Teil des verfügbaren T4 deiodiert werden kann. Da T3 im Stoffwechsel wesentlich wirksamer ist, resultiert aus einem T3-Mangel eine Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose). Eine zusätzliche Einnahme von Selenpräparaten (Natriumselenit) in hohen Dosen von 200–300 ?g täglich ist nach ärztlicher Abklärung z. B. bei Hashimoto-Thyreoiditis angezeigt, dies kann auch die Entzündungsaktivität reduzieren.

Vorkommen und Häufigkeit

Vorkommen: In kleinen Mengen kommt gediegenes Selen natürlich vor. Selenmineralien wie Clausthalit und Naumannit sind selten.
Selen ist, meist in Form von Metallseleniden, Begleiter schwefelhaltiger Erze der Metalle Kupfer, Blei, Zink, Gold und Eisen. Beim Abrösten dieser Erze sammelt sich das feste Selendioxid in der Flugasche oder in der nachgeschalteten Schwefelsäureherstellung als selenige Säure.
Selen kann in Tragant-Arten oder im Knoblauch als Se-Methylselenocystein angereichert werden.
Als essentielles Spurenelement ist Selen Bestandteil der 21. biogenen Aminosäure, Selenocystein, sowie in Bakterien, Archaea und Eukaryoten enthalten.

    Häufigkeit: 8,00 ⋅ 10-5 % (prozentualer Massenanteil der Erdhülle, d.h. der Erdkruste/Ozeane bis 16 km Tiefe)

    Geschichte

    Entdeckung: 1817

    Entdecker: Jöns Jakob Berzelius

    Isotope

    • 74Se (0,87 %, stabil, 40 Neutronen)
    • 76Se (9,36 %, stabil, 42 Neutronen)
    • 77Se (7,63 %, stabil, 43 Neutronen)
    • 78Se (23,78 %, stabil, 44 Neutronen)
    • 80Se (49,61 %, stabil, 46 Neutronen)
    • 82Se (8,73 %, radioaktiv, Halbwertszeit: 1,08 ⋅ 1020 a, 48 Neutronen)

    Bilder (mit freundlicher Genehmigung von http://www.smart-elements.com):

    SelenSelen

    Schalenmodell nach Bohr

    Selen

     
    hoch
    Schwefel
     
     
    links
    Arsen
    Selen 
    rechts
    Brom
     
    runter
    Tellur